Den Grossteil der Porträts machen internationale Menschenrechtsaktivisten aus. Aber auch in der Schweiz gibt es Aktivisten die gegen Ungerechtigkeiten aufstehen. Bedarf besteht; ein Beispiel davon ist die traurige Geschichte der «Kinder der Landstrasse».
Die «Kinder der Landstrasse» sind Opfer eines «Hilfswerks» der Pro Juventute, die jahrzehntelang die Kinder der Fahrenden (Jenische) entrissen hat um sie in Heimen oder Pflegefamilien zu platzieren. Der Gründer und Leiter dieses «Hilfswerks» Alfred Siegfried meinte zur Notwendigkeit seiner Arbeit:
«Wer die Vagantität erfolgreich bekämpfen will, muss versuchen, den Verband des fahrenden Volkes zu sprengen, er muss, so hart das klingen mag, die Familiengemeinschaft auseinanderreissen. Einen anderen Weg gibt es nicht.»
Eines der Opfer dieses Projekts ist Frau Uschi Waser. Begleitend zur Ausstellung Speak Truth to Power erzählte sie am 10. März für sechs Klassen der Kantonsschule Freudenberg, ihre Geschichte. Das Corona Virus hatte bereits seinen Weg in die Schweiz gebahnt. Es wurden keine Hände mehr geschüttelt. Der Saal des Kirchgemeindehauses Enge war mit mehr als 100 SchülerInnen sehr gut besucht. Frau Valeria Gemelli, die Rektorin der Schule, stellte Frau Waser vor. Im Folgenden erzählte Uschi Waser über die ungeheuerlichen Machenschaften des Pro Juventute «Hilfswerks» von ihrem Begin 1926 bis zur Schliessung 1973.
Uschi Waser ist Angehörige der Jenischen, die als nationale Minderheit anerkannt sind. Die Jenischen sind eine Gruppe von Fahrenden, die seit dem Mittelalter in Österreich, Deutschland, Frankreich und der Schweiz leben. Uschi Waser kam 1952 als uneheliches «illegales» Kind einer jenischen Frau zur Welt. Nur sechs Monate später wurde sie vom «Hilfswerk» der Mutter weggenommen und zu einer Pflegefamilie gebracht.
Ihre Kindheit hatte Frau Waser in unterschiedlichen Heimen und Pflegefamilien verbracht. Es waren so viele, dass sie sich selber nicht mehr daran erinnern kann. Mit neunzehn Jahren hatte sie schliesslich geheiratet und Kinder bekommen. Die Ehe kannte gute Zeiten, wurde aber durch den Alkoholismus ihres Mannes überschattet. Nach der Scheidung ist Uschi Waser in eine andere Landesgegend gezogen.
Erst Jahre später, als sie Zugang zu ihren Akten bekam, konnte sie ihre Kindheit rekonstruieren. Rassismus, unbegründete Vorurteile, sexueller Missbrauch und psychischer Terror gehörten zum täglichen Leben. Was sie zu lesen bekam, war für sie so schockieren, dass ein Selbstmordversuch folgte. Das Schlimmste war, mit welch gezielter Systematik die Fahrenden verfolgt wurden. Bis 1972 waren insgesamt 600 Kinder von ihren Familien weggenommen worden.
Uschi Waser versuchte später mit ihrer Familie wieder in Kontakt zu kommen. Da sie ihrer Familie jedoch so jung entrissen wurde, hatte sie nie die Chance wieder eine familiäre Bande mit ihren Geschwistern und ihrer Mutter aufzubauen.
Uschi Wasers Schilderungen aus ihrem Leben waren nicht nur für die SchülerInnen, sondern auch für Frau Waser selbst, sehr berührend. Einige Ausschnitte aus den Akteneinträgen:
«Hoffen wir, dass wir aus dem Kinde durch Erziehung ein nettes Menschenkind erhalten, (trotzdem ich mich nicht etwa Illusionen hingeben will!)»
«Ursula war so recht ein Bild einer argen erblichen Belastung.»
Die SchülerInnen hörten den Geschichten von Uschi Waser gebannt zu. Zwischendurch war immer wieder Zeit für Fragen die auch fleissig gestellt wurden. Eine der Fragen war, wie Frau Waser dies alles überlebt hat, und nun dennoch positiv im Leben steht.
Uschi Waser ist eine starke Frau. Eine Frau mit einer Geschichte. Und mehr noch: eine Frau mit einer Mission: das Wohl ihrer Gemeinschaft. Mit der Stiftung Naschet Jenische https://www.naschet-jenische.ch begleitet und unterstützt sie die Opfer des «Hilfswerks Kinder der Landstrasse» wo sie kann. Mittlerweile arbeitet Frau Waser seit Jahrzehnten daran dieses dunkle Kapitel der Schweizer Geschichte aufzuarbeiten. Sie will die Wahrheit sagen; den Schülern, den Behörden und der ganzen Schweiz. Speak Truth To Power eben!